Heinrich Schreiner: Von der Wolga nach Sibirien

© Der Weg in die Trudarmee Januar 1942 / SFVV

Heinrich Schreiner: Von der Wolga nach Sibirien

„…die Träume, die sucht man sich nicht aus, ich habe ja oft geträumt von der Trudarmee.“ Diese Worte von Heinrich Schreiner, geboren 1923 im wolgadeutschen Dorf Hussenbach, fassen das Leben eines Mannes zusammen, das von Leid, Entbehrung und Überlebenskampf geprägt ist. Hussenbach liegt in der Autonomen Wolgadeutschen Republik, einem Dorf, das deutschen Siedler 1767 gründeten. Doch schon in seiner Kindheit ist Heinrichs Welt von der brutalen Gewalt des stalinistischen Regimes überschattet. Die „Entkulakisierung“ kostet viele Familien alles – Wohlstand, Heimat und oft auch das Leben. 1933 erlebt er mit, wie eine verheerende Hungersnot die Region erschüttert.

Während des Großen Terrors 1937 wird Heinrichs Vater verhaftet. Nach einem Jahr kehrt er zurück, doch für Heinrich ist die Welt zu diesem Zeitpunkt bereits ein anderer Ort. Mit 16 Jahren erlernt er den Beruf des Traktoristen. Doch der Zweite Weltkrieg bringt weiteres Unheil. Ende August 1941 wird das ganze Dorf deportiert. Die Reise in Viehwaggons in die endlosen Weiten Sibiriens dauert fast einen Monat. Als der Transport schließlich ankommt, beginnt für Heinrich eine neue Ära des Schreckens.

Im Januar 1942 wird er als Sowjetbürger deutscher Abstammung zur „Trudarmee“ eingezogen – eine Sklavenarmee, eine Zeit, die von Hunger, Kälte und Gewalt geprägt ist. Zählappelle in eisiger Kälte, ständige Arbeit und der Verlust von Kameraden gehören zum täglichen Leben. „Man führte uns an ein hohes Tor mit der Überschrift: ‚Herzlich willkommen.‘ Es schien wie ein Hohn“, erinnert sich Heinrich. Ständig dem Hunger ausgesetzt, werden die Toten nachts wie Holz auf einen Wagen geladen und einfach entsorgt.

Als am 9. Mai 1945 der Krieg zu Ende geht, hört Heinrich das Rufen der Menschen nach „Frieden“. Vier Jahre lang hat er in verschiedenen Arbeitslagern überlebt, aber der Frieden kommt für ihn erst viel später. Nach fast fünf Jahren in der Trudarmee wird er erst 1947 entlassen. 1948 heiratet er und gründet eine Familie. Mit seiner Frau und den drei Söhnen zieht er nach der offiziellen Rehabilitierung der Wolgadeutschen 1964 ins Altai-Gebirge und später nach Perm.

1992 stellt die Familie einen Ausreiseantrag nach Deutschland, der 1994 erfolgreich ist. In Deutschland beginnt Heinrich Schreiner, seine Geschichte niederzuschreiben. Zudem zeichnet er. Seine Bilder ermöglichen einzigartige Einblicke in den harten Lageralltag. 2013 gibt er der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ein Interview und blickt darin zurück: „Es war kein leichter Weg, aber wir haben es geschafft, bis hier.“ Heinrich Schreiner stirbt wenige Jahre später.